Zusammengekauerte Frau in kompliziert geformter Holzkiste

Warum man alle Autoimmunerkrankungen zusammen betrachten kann (und auch sollte!)

In diesem Artikel möchte ich erklären, warum es für uns Betroffene sinnvoll ist, sich nicht so sehr mit der einzelnen Krankheit, sondern vielmehr mit unserer zugrundeliegenden Neigung zu Autoimmunerkrankungen zu beschäftigen.

Es gibt in Deutschland nur wenige niedergelassene Ärzte, Fachimmunologen und Heilpraktiker, die sich auf Autoimmunerkrankungen spezialisiert haben. Viel zu wenige, wenn man bedenkt, dass 10-15 Millionen Menschen betroffen sind. Aber woran liegt das?

1. Das System passt nicht

Die Medizin teilt sich in Fachgebiete, die sich auf einzelne Organe, Organsysteme oder Krankheitsbilder konzentrieren, wie z.B. Gastroenterologie, Allergologie, Gynäkologie, Dermatologie, Kardiologie, Pädiatrie, Onkologie. FachärztInnen für Immunologie gibt es dagegen nicht. Die Fachärzte stecken aufgrund der herrschenden Struktur in unserem Gesundheitssystem in einem ziemlich engen Korsett, wenn es um die Behandlung geht.

Eine Fachärztin für Gastroenterologie sollte beispielsweise entsprechend der Fachgebietsabgrenzung keine dermatologischen Symptome behandeln. Bei vielen dermatologischen Problemen (Akne, Neurodermitis, AI-Erkrankungen der Haut, Allergien) gibt es aber starke Zusammenhänge zwischen Darmfunktion (Leaky gut, Darmmikrobiom) und Hautmikrobiom bzw. Hautsymptomen. Wo soll die Patientin da also hin?
Kein Facharzt ist so richtig zuständig für systemische, organübergreifende Krankheiten.

Und die Zusammenarbeit untereinander wird den Ärzten auch nicht leichtgemacht. So ist es seit dem Antikorruptionsgesetz 2016 offenbar ziemlich problematisch, Patienten an konkrete, spezialisierte Kollegen zu empfehlen.

Wir laufen mit unseren Überweisungen also von Facharzt zu Facharzt und niemand ausser der Hausärztin und uns selbst sieht das ganze Bild. 

2. Undankbares Thema das viel Zeit kostet

Aufgrund ihres systemischen Charakters und der vielen Faktoren, die bei dem Krankheitsgeschehen eine Rolle spielen, kostet eine Autoimmunerkrankung die behandelnden Ärzte viel, viel Zeit.
Zeit, die sie nicht haben.

8 Minuten gibt es im Schnitt für die einzelne Person. Klar kann man sich bei PatientInnen mit chronischen Erkrankungen im Einzelfall auch mehr Zeit nehmen.
Aber wer sich darauf spezialisiert, kann dadurch auf jeden Fall nur ein unterdurchschnittliches Einkommen erzielen.
Deshalb macht es niemand.

Die Struktur unseres Gesundheitssystems ist für uns Autoimmunbetroffene alles andere als hilfreich.
Da könnte man fast dankbar sein, mehrere Autoimmunkrankheiten zu haben, denn oftmals ist es erst der Spießrutenlauf von einem Facharzt zum anderen, von einem Thema zum anderen, der uns deutlich spüren lässt, dass wir im bestehenden System nicht richtig aufgehoben sind.

Gemeinsamkeiten bei Autoimmunerkrankungen

Was ist nun der gemeinsame Nenner von allen Autoimmunerkrankungen?

Viele charakteristische Genvarianten, die mit dem Krankheitsrisiko im Zusammenhang stehen, liegen an einer bestimmten Stelle mit dem schönen Namen „Haupthistokompatibilitätskomplex“ MHC (engl. main histocompatibility complex) auf Chromosom 6. Dieser Bereich codiert Proteine, die für das Immunsystem eine Rolle spielen.

Eine genetische Prädisposition für eine Autoimmunkrankheit ist daher oft auch mit einem erhöhten Risiko für eine weitere Autoimmunkrankheit verbunden. Dies ist zum Beispiel bei einem Drittel der Zöliakiebetroffenen der Fall.
Für manche Krankheits-Kombinationen ist das Risiko interessanterweise aber auch verringert.
Es macht also wenig Sinn, eine Erkrankung beschränkt auf das Organ zu betrachten, wo sie sich manifestiert. Denn die Ursache ist tiefer in den Genen und ihrer durch Umwelteinflüsse programmierten Ausprägung zu finden.

 Die Gründe für die Ausprägung der Symptome sind neben der genetischen Prädisposition in äußeren Einflüssen zu finden.
Danach sollte die behandelnden Ärzte zusammen mit den Patientinnen „detektivisch“ auf die Suche gehen, denn hier haben wir einiges selbst in der Hand.

Entzündung ist ein wichtiger gemeinsamer Nenner. Normalerweise sind Entzündungen etwas sehr Gutes, denn sie sind der Start eines jeden Heilungsprozesses. Mit dem Abklingen der Entzündung ist dann der Heilungsvorgang abgeschlossen.
Durch eine chronische, d.h. dauerhafte, immer wieder angeheizte Entzündung wird Autoimmungeschehen begünstigt, weil im Zuge komplexer Mechanismen (ich verweise da besser an die Fachliteratur ;-)) die Immunzellen die Fähigkeit verlieren, zwischen körpereigen und körperfremd zu unterscheiden.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Infektionen (Epstein-Barr-Virus, Humanes Papillomvirus) oft der erste Auslöser einer Autoimmunreaktion sind.

Bei allen Autoimmunkrankheiten reagiert das Immunsystem mit einer aus dem Ruder gelaufenen Entzündung. Ob es nun die Betazellen in der Bauchspeicheldrüse bei Diabetes Typ 1 sind oder das Kollagen bei Sklerodermie: In allen Fällen wird körpereigenes Gewebe durch die Autoimmunreaktion, die ihrerseits dann auch eine chronische Entzündung ist, geschädigt.

Interventionen, die die allgemeine Fähigkeit des Immunsystems unterstützen, sich selbst wieder herunter zu regulieren und damit den Teufelskreis zu durchbrechen, sind in allen Fällen hilfreich. Das könnten zum Beispiel eine entzündungshemmende Ernährung oder mehr Schlaf sein.

Die Darmgesundheit spielt bei allen Autoimmunkrankheiten eine große Rolle und steht in engem Zusammenhang mit der Entzündungsproblematik, denn hier liegt oft eine „stille“ unentdeckte, aber chronisch verlaufende Entzündung vor.
Und zwar nicht unbedingt wegen der Autoimmun-Neigung, nein, vielmehr aufgrund verschiedener problematischer Stoffe in „ganz normalem“ Essen.
Wenn wir bedenken, dass das Immunsystem hauptsächlich im Darm ansässig ist, liegt es ohnehin nahe, im Darm nach der Ursache möglicher Störungen zu suchen und diese möglichst zu beseitigen.
Die Darmgesundheit als Voraussetzung für ein regelrecht funktionierendes Immunsystem ist ja nicht nur bei Autoimmunerkrankungen entscheidend, sondern spielt eigentlich bei allen Arten von chronischen Krankheiten eine Rolle.
Zum Glück wird dies nun immer besser erforscht und das Thema Darmgesundheit ist vielleicht noch nicht wirklich „salonfähig“, aber auch durchaus kein Tabu mehr.

Auch Nährstoffmängel spielen bei Autoimmunerkrankungen sehr häufig eine Rolle. Hier sind vor allem Vitamin D (auch ein Hormon!), Eisen, Omega-3-Fettsäuren, Cystein, Magnesium, Zink, B12 und Selen wichtige Werte, die es sich lohnt zu kontrollieren, da scheinbar oft ein unerkannter Mangel an ihnen besteht.

Das Immunsystem braucht aber alle notwendigen „Zutaten“, um optimal zu funktionieren.
Dummerweise verbraucht der Körper aber auch aufgrund des Autoimmungeschehens mehr Nährstoffe als der gesunde, weshalb für uns Betroffene eine „gesunde, ausgewogene Ernährung“ nicht ausreicht, um unseren Bedarf zu decken.
Es stellt sich die Henne-Ei-Frage: Begünstigt der Nährstoffmangel das Autoimmungeschehen oder ist es umgekehrt?
Solange das unklar ist, sollten wir unsere Nährstoffe im Auge behalten, um uns nicht möglicherweise gleich die nächste Autoimmunkrankheit „heranzuzüchten“.

Giftstoffe sind bei Autoimmunerkrankungen ebenfalls ein Thema. Es geht hierbei nicht nur um die einzelnen Giftstoffe, sondern auch um die individuelle Empfindlichkeit, die aufgrund ungünstiger genetischer Varianten bei manchen Menschen sehr ausgeprägt sein kann.
Diese Varianten kommen bei Autoimmunbetroffenen besonders häufig vor, d.h. wir sind möglicherweise ziemlich schlecht darin, Giftstoffe die wir einmal aufgenommen haben, auch wieder auszuscheiden.

Und zuletzt ein ganz praktischer Grund, warum du Autoimmunerkrankungen zusammen und nicht einzeln betrachten solltest:

Du kriegst einfach viel mehr mit, was sich in der Szene tut!
Erkenntnisse über hilfreiche, ursächliche Interventionen bei einzelnen Erkrankungen können oft sehr gut auf andere Erkrankungen übertragen werden, da die Ursachen, wie oben erklärt, ähnlich sind (Lebensstil, Giftstoffe, Nährstoffmängel…).

Ein gutes Beispiel ist Vitamin D: Bei Multipler Sklerose scheint speziell der Vitamin-D-Mangel einen besonders großen Einfluss zu haben, eine Supplementierungs-Therapie führt hier anscheinend oft zu tollen Erfolgen. Wenn du das aber nicht mitbekommst, weil du vielleicht keine MS hast und dich nur um deine eigene Krankheit kümmerst, kommst du vielleicht nicht auf die Idee, dass Vitamin D auch für dich ein Thema sein könnte (so war es zumindest bei mir).
Ein anderes Beispiel von mir: Die LCHF-Ernährung (Low Carb High Fat) ist in Kreisen der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) nach meiner Erfahrung überhaupt kein Thema, vermutlich weil hier in Hinblick auf ohnehin drohende Nährstoffmängel vielfach vor „einseitigen Ernährungsformen“ gewarnt wird.
Erst nachdem mir klar geworden war, dass meine Autoimmunerkrankungen offenbar gemeinsame Ursachen haben, entdeckte ich über Julia Tulipan LCHF und zahlreiche andere sehr hilfreiche Methoden und Ansätze (AIP, Wahls-Protokoll, Fasten/Keto, antientzündliche Ernährung…) 

Warum sollten wir also Autoimmunerkrankungen zusammen betrachten?

Weil wir dadurch unser Blickfeld weiten und den eigentlichen Ursachen und damit auch einer für uns geeigneten Therapie auf die Spur kommen können. 

Vielleicht fragst du dich nach all dem noch, was ich konkret damit meine, wenn ich „zusammen betrachten“ schreibe. 

Ich meine damit, dass du als Betroffene deine Zeit besser investierst, wenn du dich in Eigenregie zu Autoimmunerkrankungen im Allgemeinen schlau machst, und nicht (nur) von der Hausärztin oder in einer Facharzt-Praxis beraten lässt, denn diese hat meistens einen sehr eingeengten Blick auf ihr Fachgebiet.
Du brauchst nicht besser als die Mediziner zu verstehen, wie genau dein Immunsystem dieses konkrete Krankheitsgeschehen produziert. Es bringt dich auch nicht weiter, wenn du Expertin für Neben- und Wechselwirkungen von deinen Medikamenten wirst.
Viel zielführender ist die Suche nach Faktoren in deinem Leben, die dein Immunsystem negativ beeinflussen könnten. Dies ist eine Arbeit, die dir keiner abnehmen kann.
Es ist ja so: Leider kratzt die Medizin mit dem derzeitigen Wissen über all die komplexen Zusammenhänge zwischen unserem Immunsystem und Umwelteinflüssen noch ziemlich an der Oberfläche.
Es wird ohnehin meist auf „Trial and error“ hinauslaufen, ob du ein neues Medikament ausprobierst oder einen neue Ernährungsform.

Seien wir mal ehrlich: Dass du mit einer Autoimmunerkrankung der Schilddrüse zu einer endokrinologischen Praxis gehst, und erwartest, dass sie bei dir eine zugrundeliegende Entzündung in deinem Darm finden und bitteschön auch noch die Ursache dafür aufdecken, ist momentan utopisch. Vielleicht ist es Zukunftsmusik.
Für so etwas ist unser System leider nicht gemacht. Wir müssen selbst herausfinden, was unser Immunsystem stört.

Glücklicherweise habe ich im Laufe meiner Recherchen lernen dürfen, dass sich eine Reihe von „Verdächtigen“ eingrenzen lässt, was die Suche nach den entscheidenden Faktoren einfacher macht. Mehr dazu in einem anderen Artikel.

Welche Erfahrungen hast du mit dem Umstand, dass immer mehrere Ärzte nebeneinander her arbeiten? Siehst du das auch als problematisch an? Oder hast du das Glück, einen weitsichtigen Arzt zu haben, der alles gemeinsam betrachtet?

Bildquellen

  • Ich_Kubus: Margherita Minuzzi